For­schungs­cam­pus FEN

Ein fle­xi­bles Netz für die Strom­ver­sor­gung von mor­gen

Die Strom­ver­sor­gung steht vor bahn­bre­chen­den Ver­än­de­run­gen, um die eu­ro­pa­wei­ten Kli­ma­zie­le zu ver­wirk­li­chen. Das Ziel: eine Klima-​neutrale Wirt­schaft bis 2050. In­mit­ten die­ser Her­aus­for­de­rung hat sich der For­schungs­cam­pus FEN als Pio­nier po­si­tio­niert, indem er ein ein­zig­ar­ti­ges Mittelspannungs-​Gleichstromnetz ge­schaf­fen hat.

© RWTH Aa­chen Uni­ver­si­ty, Peter Wi­n­an­dy

Um un­se­re En­er­gie­ver­sor­gung lang­fris­tig und nach­hal­tig zu si­chern, muss die ge­sam­te von uns ge­nutz­te En­er­gie aus re­ge­ne­ra­ti­ven Quel­len wie Wind, Sonne, Was­ser­kraft und Bio­mas­se ge­won­nen wer­den.

Wäh­rend es bis vor ei­ni­gen Jah­ren noch Stand der Tech­nik war, dass der Strom aus­schließ­lich von we­ni­gen gro­ßen Strom­erzeu­gern in die Netze ein­ge­speist wurde, bringt auch der bis­he­ri­ge End­ver­brau­cher heute selbst En­er­gie ins Netz, z.B. über Pho­to­vol­ta­ik­an­la­gen. Er selbst wird zum En­er­gie­pro­du­zen­ten. Wei­ter­hin führt die Elek­tro­mo­bi­li­tät zu einem ver­än­der­ten Nut­zungs­ver­hal­ten. Lädt jeder sein E-​Auto am Abend, könn­ten die Netze über­las­tet wer­den. Auch müs­sen große Offshore-​Windparks teil­wei­se über große Di­stan­zen ver­bun­den wer­den. Somit wird al­lein durch die al­ter­na­ti­ve En­er­gie­er­zeu­gung und ver­än­der­te Nut­zung das bis­her aus­ta­rier­te Strom­netz in­sta­bil. In der Kon­se­quenz be­deu­tet dies, dass die Über­tra­gung, Ver­tei­lung und Spei­che­rung von elek­tri­scher En­er­gie ef­fi­zi­en­ter und fle­xi­bler wer­den muss, was gra­vie­ren­de Än­de­run­gen im elek­tri­schen Ver­sor­gungs­sys­tem er­for­der­lich macht. Kurz­um – es wird eine neue Netz­in­fra­struk­tur be­nö­tigt.

Des­halb hat sich der vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Bil­dung und For­schung (BMBF) ge­för­der­te For­schungs­cam­pus Fle­xi­ble Elek­tri­sche Netze (FEN) zum Ziel ge­setzt, mit­hil­fe einer fle­xi­blen Netz­struk­tur eine nach­hal­ti­ge, si­che­re und be­zahl­ba­re Strom­ver­sor­gung für die Zu­kunft zu er­mög­li­chen. Dabei kom­men in­no­va­ti­ve Tech­no­lo­gien zum Ein­satz, die einen hohen An­teil er­neu­er­ba­rer En­er­gie­quel­len im Netz er­mög­li­chen.

Viele drin­gend für die En­er­gie­wen­de be­nö­tig­te Tech­no­lo­gien wie Pho­to­vol­ta­ik, Bat­te­rien oder Was­ser­stoff haben eines ge­mein­sam: Sie ar­bei­ten mit Gleich­strom (DC). Da­ge­gen über­tra­gen her­kömm­li­che Netze Wech­sel­strom (AC), der seine Rich­tung re­gel­mä­ßig in Bruch­tei­len einer Se­kun­de än­dert. Beide Sys­te­me kön­nen nicht di­rekt mit­ein­an­der ver­bun­den wer­den. Neben dem Netz­aus­bau be­nö­tigt die En­er­gie­wen­de daher viele Res­sour­cen für die Um­wand­lung zwi­schen AC und DC. Hier kommt das For­schungs­netz des FEN ins Spiel. Es stellt eine ge­eig­ne­te Al­ter­na­ti­ve zur en­er­gie­in­ten­si­ven Wand­lung von AC zu DC dar, da die­ses Netz es er­mög­licht, die Ver­tei­lung elek­tri­scher En­er­gie ef­fi­zi­en­ter, fle­xi­bler und güns­ti­ger zu ma­chen. Davon pro­fi­tie­ren nicht zu­letzt klei­ne und de­zen­tra­le Er­zeu­ger wie Pho­to­vol­ta­ik­an­la­gen auf Haus­dä­chern oder Bal­ko­nen.

In der Hoch­span­nungs­über­tra­gung gibt es seit mehr als 50 Jah­ren Er­fah­rung mit der Gleich­strom­tech­nik. Sie er­mög­licht es, ohne große En­er­gie­ver­lus­te Strom über weite Stre­cken zu trans­por­tie­ren, da der Strom nicht wie bei AC pe­ri­odisch die Rich­tung än­dert. Bei der Ver­tei­lung elek­tri­scher En­er­gie in Städ­ten und deren Um­ge­bung wird Mit­tel­span­nung (MV) ver­wen­det. Dort fin­det eben­so der Aus­bau von de­zen­tra­len Er­zeu­gern und Elek­tro­mo­bi­li­tät statt. Zu deren in­tel­li­gen­ter Ver­net­zung wird daher Mittelspannungs-​Gleichstrom (MVDC) be­nö­tigt, der über fle­xi­ble Netze ver­teilt wird.

Zum Start des For­schungs­cam­pus FEN stan­den im Markt schon ei­ni­ge der für ein sol­ches Netz be­nö­tig­ten Kom­po­nen­ten zur Ver­fü­gung, sie wur­den je­doch bis­her noch nie zur fle­xi­blen Steue­rung von En­er­gie­flüs­sen in MVDC-​Netzen ein­ge­setzt. Au­ßer­dem fehl­te es neben an­wend­ba­ren Stan­dards sowie tech­ni­schen Richt­li­ni­en eben­so an Er­fah­rung beim ef­fi­zi­en­ten und si­che­ren Be­trieb sol­cher Sys­te­me. Unter die­sen Vor­aus­set­zun­gen war der schnel­le Auf­bau von MVDC-​Systemen für den Re­al­be­trieb zur Un­ter­stüt­zung der En­er­gie­wen­de nicht denk­bar. Erst muss­ten grund­le­gen­de Fra­ge­stel­lun­gen in Bezug auf ein MVDC-​Netz er­forscht wer­den. So wurde schon in der Vor­pha­se des For­schungs­cam­pus ge­mein­sam mit In­dus­trie­part­nern an einem ge­eig­ne­ten Kon­zept für ein sol­ches MVDC-​Netz ge­ar­bei­tet, wobei die Ar­beit unter einem Dach der ent­schei­den­de Er­folgs­fak­tor war, da er An­wen­der und Her­stel­ler von DC-Equipment so­wohl auf Komponenten-​, als auch Sys­tem­ebe­ne zu­sam­men­brach­te. Auf­bau­end auf den Er­geb­nis­sen die­ser Zu­sam­men­ar­beit wurde der Ent­schluss ge­fasst, am FEN ein in die­ser Spannungs-​ und Leis­tungs­klas­se ein­ma­li­ges MVDC-​Netz auf­zu­bau­en, um die Mach­bar­keit zu de­mons­trie­ren.

Die ge­mein­sa­men Ar­bei­ten zur Er­rich­tung des gut zwei Ki­lo­me­ter lan­gen Net­zes auf dem Cam­pus Me­la­ten der RWTH Aa­chen Uni­ver­si­ty star­te­ten im Jahr 2014. Um In­no­va­tio­nen im Zu­sam­men­hang mit dem MVDC-​Netz zu be­schleu­ni­gen, wurde bei der Er­rich­tung des Net­zes größ­ten­teils auf Stan­dard­kom­po­nen­ten zu­rück­ge­grif­fen, die schon im Markt ver­füg­bar waren. Auch hier er­wies sich die Ko­ope­ra­ti­on mit den In­dus­trie­part­nern als In­no­va­ti­ons­trei­ber, da mit ihnen ge­mein­sam die ge­eig­ne­ten Pro­duk­te schnell iden­ti­fi­ziert wer­den konn­ten, die dann von der In­dus­trie be­reit­ge­stellt wur­den. Un­vor­her­seh­ba­re Her­aus­for­de­run­gen konn­ten auf­grund der Ko­ope­ra­ti­on mit der In­dus­trie zügig ge­löst sowie feh­len­de Kom­po­nen­ten be­darfs­ge­recht und um­set­zungs­ori­en­tiert ent­wi­ckelt wer­den. Als wich­ti­ges Bei­spiel wurde ge­mein­sam von thys­sen­krupp und AQ – ehe­mals Schaff­ner – sowie der RWTH ein Mit­tel­fre­quenz­trans­for­ma­tor rea­li­siert, der die Steue­rung der En­er­gie­flüs­se im MVDC-​Netz er­mög­licht. Auf diese Weise kann die Menge und die Rich­tung des Stroms so be­ein­flusst wer­den, dass die En­er­gie ef­fi­zi­en­ter zu den Orten ge­langt, wo sie be­nö­tigt wird. Der Mit­tel­fre­quenz­trans­for­ma­tor steht heute als Pro­dukt im Markt zur Ver­fü­gung. Die Ent­wick­lung des Trans­for­ma­tors wurde durch den Industry on Campus-​Ansatz des For­schungs­cam­pus als Platt­form und Netz­werk für die nie­der­schwel­li­ge Ko­ope­ra­ti­on von Un­ter­neh­men und For­schung deut­lich be­schleu­nigt.

Der Auf­bau des MVDC-​Netzes war trotz al­le­dem mit er­heb­li­chen tech­ni­schen und wirt­schaft­li­chen Ri­si­ken ver­bun­den und hätte ohne die För­de­rung durch das BMBF nicht oder erst Jahre spä­ter star­ten kön­nen. In den BMBF-​geförderten Pro­jek­ten des For­schungs­cam­pus FEN wur­den die not­wen­di­gen Grund­la­gen für die Aus­le­gung, Mo­del­lie­rung, Re­ge­lung und Op­ti­mie­rung der MVDC-​Komponenten für das Netz ge­schaf­fen. Die schon er­wähn­ten, am Markt ver­füg­ba­ren Kom­po­nen­ten wie z.B.  Mit­tel­span­nungs­ka­bel wur­den auf ihre An­wend­bar­keit für DC un­ter­sucht. Neue Kom­po­nen­ten wie der be­schrie­be­ne Mit­tel­fre­quenz­trans­for­ma­tor und not­wen­di­ge Schutz­tech­nik wur­den ent­wi­ckelt und wer­den auch heute noch als Ge­gen­stand ak­tu­el­ler Pro­jek­te wei­ter er­forscht. Ins­ge­samt wird inter-​ und trans­dis­zi­pli­när ge­ar­bei­tet; be­tei­ligt sind die Dis­zi­pli­nen Elek­tro­tech­nik, Ma­schi­nen­bau, Ma­te­ri­al­wis­sen­schaf­ten, In­for­ma­tik, Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten, So­zio­lo­gie, Ar­chi­tek­tur, Ar­beits­wis­sen­schaf­ten und Um­welt­me­di­zin.

Am 19. No­vem­ber 2019 wurde das MVDC-​Forschungsnetz nach fünf­jäh­ri­ger Planungs-​, Entwicklungs-​ und Bau­pha­se in Be­trieb ge­nom­men. Für die am FEN be­tei­lig­ten wis­sen­schaft­li­chen und in­dus­tri­el­len Part­ner war dies ein her­aus­ra­gen­der Mei­len­stein. Zum einen wurde damit die tech­ni­sche Mach­bar­keit des Auf­baus von MVDC-​Netzen aus ver­füg­ba­ren Stan­dard­kom­po­nen­ten de­mons­triert. Zum an­de­ren bil­det das For­schungs­netz die Basis wei­te­rer For­schungs­ak­ti­vi­tä­ten des FEN, etwa als Ver­suchs­um­ge­bung zur Ent­wick­lung neuer Kom­po­nen­ten sowie zur Er­pro­bung von in­no­va­ti­ven Schutz­kon­zep­ten, Be­triebs­füh­rungs­stra­te­gien und Re­ge­lungs­ver­fah­ren. Zu­künf­tig wird neben der Er­pro­bung und Qua­li­fi­zie­rung von MVDC-​Komponenten ins­be­son­de­re die Aus- und Wei­ter­bil­dung von Fach­kräf­ten aus In­dus­trie und Wis­sen­schaft im Mit­tel­punkt ste­hen, da neue Tech­no­lo­gien den Markt nur durch­drin­gen kön­nen, wenn Men­schen damit um­ge­hen kön­nen und stets auf dem neus­ten Stand der Tech­nik blei­ben. So wird das MVDC-​Forschungsnetz auch in Zu­kunft die Ent­wick­lung von in­no­va­ti­ven tech­ni­schen Lö­sun­gen un­ter­stüt­zen und dar­über hin­aus dazu bei­tra­gen, den Fach­kräf­te­man­gel zu be­he­ben.