Forschungscampus MODAL

Mathematik für die Energiewende

Pipelinenetze spielen eine zentrale Rolle in der deutschen Energieinfrastruktur und werden kontinuierlich erweitert und modernisiert, um den wachsenden Anforderungen der Energiewende gerecht zu werden. Angesichts der hohen Investitionskosten für diese Infrastruktur ist eine vorausschauende Planung notwendig, die sowohl gegenwärtige als auch zukünftige Anforderungen an diese Netze berücksichtigt und zugleich ineffiziente Infrastrukturinvestitionen vermeidet. Am Forschungscampus MODAL haben Mitarbeitende der Partner Open Grid Europe (OGE) und Zuse Institut Berlin (ZIB) zusammen den Optimierer „COCOS“ entwickelt, der Planer darin unterstützt Pipelinenetze kosteneffizient und technisch sicher auszulegen.

Pipelines am OGE Standort Herbstein
©OGE

Für das Gelingen der Energiewende ist nicht nur der Umstieg auf erneuerbare Energiequellen entscheidend. Auch die Dekarbonisierung von Industrien, die nicht vollständig auf erneuerbare Energien umstellen können, muss vorangetrieben werden. In vielen industriellen Prozessen, wie der Zement- oder Stahlproduktion, wird CO₂ nicht nur durch den Energieverbrauch, sondern auch durch chemische Reaktionen selbst freigesetzt (z.B. beim Kalkbrennen in der Zementproduktion). Diese Emissionen können nicht einfach durch den Umstieg auf erneuerbare Energiequellen reduziert werden. Daher stellt „Carbon Capture Utilization and Storage“ (CCUS) für diese Industrien eine zentrale Lösung zur Minderung der CO₂-Emissionen dar. Dabei wird CO₂ direkt an den Abgasquellen der Produktionsanlagen eingefangen, in der Regel mittels chemischer Absorptionsverfahren. Das abgeschiedene CO₂ wird anschließend verdichtet und per Pipeline oder Tanklastwagen zu Nutzungs- oder Speicherorten transportiert. Mögliche Verwendungszwecke sind u.a. die Herstellung synthetischer Kraftstoffe und bestimmte Prozesse in der chemischen Industrie. Alternativ kann das CO₂ in geologischen Formationen wie ausgebeuteten Gasfeldern dauerhaft gespeichert werden. Für den wirtschaftlichen Einsatz von CCUS ist es entscheidend, das CO₂ sicher und kosteneffizient zu transportieren. Pipelinenetze, wie sie bereits für den Öl- oder Gastransport verwendet werden, sind hierbei die wirtschaftlichste Option.

Sicher entlang des Weges

CO₂ ist im Vergleich zu anderen Gasen wie Wasserstoff oder Erdgas besonders schwierig zu transportieren, da es empfindlich auf Temperatur- und Druckveränderungen reagiert. Je nachdem, ob man das CO₂ gasförmig oder dicht (entweder flüssig oder superkritisch – CO₂ hat dann die Dichte einer Flüssigkeit, verhält sich aber wie ein Gas) transportieren möchte, sind andere technische Anlagen nötig. Bei längeren Transportstrecken scheint der dichte Transport derzeit die wirtschaftlichere Option zu sein. Dabei ist sicherzustellen, dass das CO₂ stets im flüssigen oder superkritischen Zustand transportiert wird, da ein Übergang von flüssig in gasförmig (Verdampfen) oder andersherum (Kondensation) Leitungen und Pumpen beschädigen kann. Diese Anforderungen an Temperatur- und Druckverhältnisse während des Transports müssen genau beachtet werden, um einen sicheren Transport zu gewährleisten. Eine dafür entwickelte Software ist das CO₂ Configuration and Simulation Tool „COCOS“. Es berechnet, wie groß die jeweiligen Pipelines zum CO₂-Transport sein müssen, um erwartete Transportmengen, physikalische Einschränkungen und den wirtschaftlichen Betrieb der Pipelinenetze miteinander in Einklang zu bringen.

Mit Mathematik zum Ziel

Die Idee zu diesem Tool entstand 2022 am Forschungscampus MODAL. Seit 2015 arbeiten hier Wissenschaft und Wirtschaft eng zusammen, um digitale Systeme zur Optimierung datengetriebener Prozesse in Energie, Gesundheit, Mobilität und Kommunikation zu entwickeln. Im EnergyLab bündeln die MODAL-Partner ihre Expertise im Bereich Energieoptimierung und schaffen durch die enge Zusammenarbeit unter einem Dach ein kreatives Umfeld, in dem praxisnahe und wissenschaftlich innovative Lösungen entstehen. Diese Dynamik ist entscheidend, um die komplexen Herausforderungen der Energiewende erfolgreich zu bewältigen. Das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt fördert diese Dynamik durch die Förderinitiative „Forschungscampus“.

COCOS ist genau eine dieser innovativen Lösungen, da es mathematische Optimierung mit thermophysikalischen Modellen kombiniert, um optimale Pipeline-Durchmesser für die einzelnen Leitungen eines gesamten Netzes zu bestimmen. Damit stellt die MODAL-Entwicklung sicher, dass Verantwortliche die Transportnetze nicht nur sicher bauen können, sondern auch unnötige Kosten durch zu große Leitungen vermeiden. Bisherige Lösungen konnten entweder die komplexen physikalischen Effekte nicht abbilden oder waren zu aufwendig für den praktischen Einsatz. COCOS bietet eine effiziente Lösung und unterstützt damit die Planung von CCUS-Infrastrukturen.

Von Forschung zur Praxis zur Forschung

Mit dieser Entwicklung leistet der Forschungscampus MODAL einen wichtigen Beitrag zur Energiewende, er hilft CO2-Transportnetze effizienter zu planen und die Kosten für CO₂-Abscheidung und -Speicherung zu senken. Beim MODAL-Industriepartner Open Grid Europe, einem der größten Gastransportnetzbetreiber Deutschlands, wird COCOS bereits direkt in der Planung von CO₂-Netzen eingesetzt. Dabei treten weitere Herausforderungen auf, wie etwa die optimale Platzierung von Pumpen zur Drucksteuerung des Netzes. An der Lösung dieser Herausforderungen arbeiten die Partner des Forschungscampus MODAL weiter zusammen, um große CCUS-Projekte mit Hilfe von COCOS zu realisieren und somit einen entscheidenden Beitrag auf dem Weg zu einer klimaneutralen Industrie zu leisten.