Forschungscampus M²OLIE

guidoo - der robotische OP-Assistent

Mit dem guidoo entsteht aus dem Mannheimer Forschungscampus M²OLIE ein innovatives Medizintechnikprodukt für die klinische Anwendung. Mit diesem intelligenten Roboterassistenten kann die Planung für eine Biopsie präzise erfolgen und die Nadel für den Einstich schnell und genau ausgerichtet werden. Dadurch wird die Strahlenbelastung für Erkrankte und OP-Personal gesenkt.

 

Der intelligente Roboterassistent guidoo beschleunigt die exakte Platzierung der Nadel während der Biopsie. © Vanessa Stachel

M²OLIE hat es sich zum Ziel gesetzt, den Patientenpfad von Krebspatienten mit Oligometastasen zu revolutionieren. Um den Paradigmenwechsel in der Tumortherapie aktiv und nachhaltig voranzutreiben, erforscht der Mannheimer Forschungscampus intelligente technische Lösungen an jeder Station des Patientenpfades – von der Aufnahme des Patienten bis zu dessen Entlassung. Ein kritischer Punkt in der Prozesskette mit viel Optimierungspotenzial ist die Biopsie, also die Punktierung von Organen wie der Leber. Sehr früh kam bei dem M²OLIE-Partner Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) somit im Rahmen eines Projektes die Idee für ein Roboterassistenzsystem auf, um auch an dieser Stelle den klinischen Alltag zu erleichtern. Ein entsprechendes robotisches Assistenzsystem war damals nicht verfügbar. Daher soll ein Robotersystem etabliert werden, das anhand von bildgestützten Daten im Zusammenspiel mit einem Computertomographiesystem sehr präzise gesteuert werden kann, so dass die Ärztin oder der Arzt eine Nadel für die Biopsie ohne weitere Nachjustierung exakt platzieren kann. Damit verkürzt sich der gesamte Eingriff für Patientinnen und Patienten und die Strahlenbelastung sinkt.

Durch den Forschungscampus M²OLIE wurden ab 2013 die Forschungen an diesem System intensiviert. Fraunhofer hat dieses innovative System neben anderen Entwicklungen auf der MEDICA 2016 ausgestellt, wo sich erste Gespräche mit dem Pfullinger Unternehmen BEC GmbH ergaben. Im Anschluss daran ermöglichte ein gemeinsames ZIM-Projekt („Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz) die Entwicklung des Systems sowie erste Nutzerstudien. Nach den ersten vielversprechenden Ergebnissen entschloss sich das Unternehmen BEC GmbH, in diese Innovation zu investieren und das System, den heutigen guidoo, vollends zum Medizinprodukt zu entwickeln. Zum Ende des gemeinsamen ZIM-Projekts 2019 wurde die BEC GmbH auf Vorschlag von Fraunhofer IPA Partner im Forschungscampus M²OLIE.

Der guidoo ist das erfolgreiche Resultat aus kontinuierlicher Forschung und Entwicklung einer Reihe von Projekten und ein Paradebeispiel für den Wissenstransfer in M²OLIE. Im Forschungscampus hatte die BEC GmbH direkten Kontakt in die klinische Forschung und konnte so die Entwicklung des Produkts anwendungsnah vorantreiben. Durch den Sitz von M²OLIE direkt auf dem Gelände des Universitätsklinikums Mannheim ermöglicht der Forschungscampus allgemein einen einzigartigen und niederschwelligen Austausch zwischen den Partnern und klinischen Anwendern. In diesem Falle beschleunigte auch der Wechsel des hauptverantwortlichen Experten des Projekts vom akademischen zum industriellen Partner BEC GmbH den Wissenstransfer und somit die Gesamtentwicklung des Projekts. Dass die Idee für guidoo funktioniert, wurde schnell anhand von Studien nachgewiesen: In Phantomversuchen sowie in einer am IHU (Institut Hospitalo-Universitaire) in Straßburg durch das europäische Fördernetzwerk DIH-HERO finanziell unterstützten Großtierstudie konnte 2021 deutlich gezeigt werden, dass im Vergleich zur manuellen Vorgehensweise eine geringere Anzahl an Kontrollscans notwendig ist, bis die Nadel ihr Ziel erreicht hat. Dazu kommt, dass sich im weiteren Verlauf dieser Studie die anvisierte Zeitersparnis bestätigte, was das primäre Entwicklungsziel in der Etablierung des M²OLIE-Closed-Loop-Prozesses ist. Das Positionieren der Interventionsnadel geschieht mit dem guidoo um 50 Prozent schneller. Die Verkürzung des Eingriffs hat dabei einen enormen Vorteil für den Patienten oder die Patientin, denn der geschieht in der Regel unter Vollnarkose. Gleichzeitig entsteht durch die Zeitersparnis natürlich auch ein ökonomischer Vorteil für das Klinikum.

Letztlich birgt die Innovation aber auch eine Art Demokratisierung der Intervention. Ein erfahrener interventioneller Radiologe bringt die Nadel mit Hilfe von dreidimensionalen Bildern, die ein spezieller Computertomograph liefert, genau, schnell und mit relativ wenigen Wiederholungen an ihr Ziel. Mit dem guidoo ist es nun möglich, konsistente Ergebnisse zu erzielen, unabhängig davon, welche Fachkraft am Behandlungstisch steht. Insgesamt beschleunigt das Assistenzsystem also die exakte Platzierung der Nadel. Danach übernimmt die menschliche Hand und der Arzt oder die Ärztin führt die Nadel in das Gewebe ein. Nur durch die enge Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft unter einem Dach im Forschungscampus war es möglich, das Produkt so anwendungsnah zu entwickeln und dabei den Patientennutzen zu maximieren.

Das guidoo-System durchläuft aktuell den Zulassungsprozess zum Medizinprodukt nach der Medical Device Regulation. Sobald die EU-Konformitätsbewertung mit anschließender CE-Kennzeichnung erfolgt ist, ist der nächste Schritt dann der erste Humaneinsatz mit PMCF-Studien. Das sogenannte Post-Market Clinical Follow-up umschreibt den Prozess der systematischen Überwachung und Bewertung eines Medizinproduktes nach der Markteinführung. Dabei werden weitere Informationen über Sicherheit und Leistung gesammelt. Dass das innovative System schon heute Resonanz findet, wird auch an einem gemeinsamen Projekt der BEC GmbH mit Fraunhofer MEVIS und mediMESH am Forschungscampus STIMULATE deutlich, das im Mai 2023 startete. Insgesamt zeigt die Entwicklung des guidoos, wie der Forschungscampus M²OLIE einen sehr breitgefächerten Zugang in die Klinik ermöglicht und damit die Entwicklung von zukunftsweisenden Produkten zum Wohle der Patienten beschleunigt.